Haltung

1.) Fluchtversuch vor einem verlogenen Kollektivismus


Warum ist die DDR, warum ist der gesamte Ostblock in den Jahren 1989 bis 1991 einfach in sich zusammengebrochen, obwohl es doch so starke, gut organisierte Partei- und Staatsstrukturen gegeben hat?

Aus Sicht des Verfassers lag es nicht am fehlenden Angebot von Bananen oder dem bescheidenen materiellen Wohlstand der breiten Masse. Rückblickend auf die Zeit vor 1990 drängt sich für Ältere die Frage auf: Sind wir heute individuell glücklicher als damals? 

Die Antwort mag überraschen, liegt das persönliche Glücksempfinden doch eben nicht vordergründig in der ständigen Verfügbarkeit aller materiellen Genüsse. 

Warum also der fast widerstandslose Zusammenbruch?


Es war die grenzenlose Verlogenheit, welche das sozialistische System delegitimiert hat, der krasse Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ein einfaches Beispiel soll dies untermauern: Der Mensch vergleicht sich mit seinen Nachbarn, mit seinen Nächsten. 

Hatte ich als Kind kein Verlangen nach Kaugummi (weil ich diesen Genuss gar nicht kannte), so stieg das Verlangen danach erst in dem Moment, wo der Schulfreund diesen "Luxus" hatte und mir einen zum Probieren gab. 

Mein Bedürfnis wurde erst durch das Vorbild des Schulfreundes geweckt, und ich fühlte die Ungerechtigkeit der Welt. Nun gab es damals auch eine Art DDR-Kaugummi, eine süße Masse von merkwürdiger Konsistenz, die nur eine sehr entfernte Ähnlichkeit zum begehrten Westprodukt hatte. Damit konnte man im Kreis der Schulfreunde nicht bestehen.

Doch es gab einen Ausweg: Mit den bescheidenen Geldgeschenken der Westverwandtschaft konnte man in der DDR, in den s.g. Intershop-Läden westliche Waren erwerben.

Mit jedem Betreten eines Intershop, mit dem wunderbaren Duft, mit der Verlockung bunter, bisher unbekannter Waren aus der ganzen Welt gab es zwar den kurzen Glücksmoment beim Erwerb des billigen Kaugummi, aber gleichzeitig wuchs das Verlangen nach den vielen anderen Leckereien und das Empfinden der Ungerechtigkeit, diese nicht kaufen zu können.

Dabei fühlte ich mich mit den geschenkten 5 DM West (einem Silberadler) schon wie ein reicher Junge, und den Schatz galt es zu hüten wie einen Augapfel.

In der Schule lernten wir die "Gesetzmäßigkeiten" des Sozialismus/Kommunismus, und die Medien haben gleichzeitig in einem unentwegten Trommelfeuer die Überlegenheit der "einzig wissenschaftlichen Weltanschauung" sowie die alternativlose Führung durch eine marxistisch/leninistischen Partei verkündet. 

Dabei waren die 5 Mark West in meinen Händen der schlagende Gegenbeweis für die Behauptung: "Die Partei hat immer recht."

Die Wirklichkeit war eben eine ganz andere Hausnummer als die kritikbefreite Propaganda der Partei- und Staatsmedien. 

Zum Gegner der DDR wurde ich nicht, weil ich in diesem Land dauerhaft unglücklich gewesen wäre. Ganz im Gegenteil habe ich an diese Zeit viele glückliche Erinnerungen, und es gab ein starkes Gefühl der Geborgenheit und menschlichen Nähe.

Als selbstständig denkend erzogener Jugendlicher war für mich die Verlogenheit, die widersprüchliche Propaganda und die allgegenwärtige Zensur und der Zwang unter ein Kollektiv wesentlicher Grund für zunehmende Opposition zu diesem Land und dessen Gesellschaftsordnung geworden.


Der Gipfel der Verlogenheit waren die Grenzanlagen der DDR, welche hochoffiziell als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet wurden, deren gesamte bauliche Gestaltung jedoch kaum gegen Eindringlinge von außen gerichtet war, sondern das eigene Volk wurde mit brutalen baulichen und technischen Mitteln am Verlassen gehindert, sollte eingesperrt bleiben.


In der Familie gab es einen angeheirateten Onkel, der als Offizier beim Staatssicherheitsdienst arbeitete. Der wollte mich gern für einen späteren Dienst in diesem Apparat gewinnen und hat auch einen starken Eindruck auf mich hinterlassen mit Geschichten aus seiner vorherigen Marinelaufbahn. 

Gleichzeitig klingen mir die angstvollen Warnungen meiner Großmutter nur zu deutlich noch im Ohr: "Wenn der Onkel Hans-Jörg dabei ist: Sag ja nichts! Sag ja nichts!“ Es war also klar, daß alle familiären Bindungen nichts nutzen würden, wenn über jemanden aus der Familie etwas "Staatsfeindliches" an sein Ohr dringen würde. 

Wir lebten in einer Welt ständiger äußerer Zensur und vor allen Dingen Selbstzensur, immer in der Angst, daß jegliche Kritik an den Grundpfeilern des Systems negative Auswirkungen auf einen selbst oder den Nächsten haben könnte, wenn sie an die falschen Ohren dringt. 


Meine Angehörigen haben mir also eine elementare Angst davor vermittelt, man könne durch eine unbedachte Meinungsäußerung, durch eine nicht obrigkeitshörige Wahrnehmung der Realität schlimme Bestrafung erfahren, über den Verlust von späteren Karriere-Chancen bis hin zu brutaler Gefängnishaft.

Diese Angst hat allerdings nicht dazu geführt, daß man als selbstständig denkender Heranwachsender die Lehren des Sozialismus/Kommunismus verinnerlicht hätte. Ganz im Gegenteil haben sich die Augen um so mehr für die Widersprüchlichkeit, für die vielen Verlogenheiten innerhalb der DDR geöffnet.

Ich habe dadurch viel komplexere Spielregeln der zwischenmenschlichen Kommunikation gelernt.

Einerseits ging es darum, mit dem Gesprächspartner zunächst eine Vertrauensbasis zu finden, in wie weit man kritische Meinungen offen artikulieren, sie ggf. nur verklausuliert durchscheinen, sie gänzlich vermeiden oder ein eingeübtes Schauspiel vortragen kann/muß.

Dem Lied des roten Oktoberclubs "Sag mir, wo Du stehst, sag mir, welchen Weg Du gehst!..." zum Trotz habe ich gegenüber dem Regime meinen Standpunkt, meine Meinungen und meinen geplanten Weg verschleiert. Es galt gegenüber dem Regime, möglichst anonym zu bleiben!

1983 bin ich dann wegen versuchter Republikflucht doch noch im Gefängnis, in brutaler Stasi-Haft gelandet. Die methodischen Verhöre des Staatssicherheitsdienstes haben im Abgleich mit den umfangreichen Befragungen von Angehörigen, Freunden, Bekannten und Lehrern am Ende fast die ganze Wahrheit ans Licht gebracht.


Trotz aller Entmenschlichung auf dem Kaßberg in Chemnitz muß ich den Stasi-Leuten einen wichtigen Aspekt zu Gute halten: Sie waren ernsthaft bestrebt, zu ermitteln, warum dieser junge Gefangene eine ablehnende Haltung zur DDR entwickeln konnte. Sie wollten die Motivation ergründen, und warum die Bindungskräfte des Kollektivs versagt haben.

Aus dem Selbstverständnis des Systems heraus war man nach Kräften bemüht, das Individuum zurück in den Schoß der Gemeinschaft zu holen und nicht endgültig an den Gegner zu verlieren.

Nicht ein rechtsstaatliches Verfahren hat den Ausgang der Gerichtsverhandlung bestimmt. 

Es gab vielmehr einen Deal des sozialistischen Regimes unter Einbeziehung des Richters mit dem Delinquent: Der Angeklagte mußte Reue zeigen und sein Ziel, in den "freien Westen" zu gelangen, aufgeben. Dafür fiel die Strafe dann mit 2 1/2 Jahren Bewährung in der sozialistischen Produktion und Anrechnung von fast 6 Monaten Untersuchungshaft etwas milder aus, als ursprünglich in Aussicht gestellt.


Erst viel später habe ich begriffen, daß es nicht nur darum ging, meine bescheidene Arbeitskraft für die DDR zu erhalten. Ganz nach dem Motto: "Bestrafe einige und erziehe viele!" hat die Partei- und Staatsmacht in meinem Umfeld vorexerziert: "Seht, der Abweichler, der Sünder kehrt reuig in die sozialistische Gemeinschaft zurück. Er wurde hart aber nicht zu hart bestraft. Überlegt Euch also gut, ob Ihr selbst gegen die sozialistische Ordnung opponieren wollt! Wer sich unterwirft, wer sagt, was wir hören wollen, wer zumindest den Mund hält, darf weiter innerhalb eng gefasster Grenzen mitspielen." 


Es ist also ein Kennzeichen für mangelnde Rechtsstaatlichkeit, wenn das Urteil für einen Rechtsverstoß nicht nach dem reinen Gesetzestext sondern nach einer beabsichtigten öffentlichen Wirkung ausfällt. Wie oft erleben wir heute, daß völlig legitime Meinungsäußerungen zwar nicht unter rechtlichen Aspekten verurteilt werden können, aber eine s.g. mediale Öffentlichkeit die Reue des Abweichlers einfordert?! 

Legionen von kollektivistischen Gesinnungswächtern, häufig die Berufsbezeichnung "Journalist" mißbrauchend, stellen die modernen "Ketzer" an einen sehr wirksamen öffentlichen Pranger, der ganz ohne Richter funktioniert.

Dabei liegt das Problem nicht darin, daß Medien nicht berechtigt wären, Meinungsäußerungen im Kontext ihres Wertekanons zu debattieren. Nein, man erzeugt quasi eine Paralleljustiz, die völlig legitime Meinungen zu Tabus, zu Unsagbarkeit, zu einem Meinungsverbrechen erklärt, analog zum real existierenden Sozialismus in der DDR.



2.) Versuch einer Einordnung


Doch wo liegt nun der alte und neue Graben bzw. die ewige Konfliktlinie, welche unsere Gesellschaft im Wesentlichen durchzieht?

Es ist nicht der Unterschied zwischen Arm und Reich! 

Es ist nicht der Unterschied zwischen den Rassen!


Es ist der Gegensatz zwischen Kollektivisten und Individualisten in allen Bereichen der menschlichen Gesellschaft.


Kollektivismus betont die Bedeutung der Gruppe und das Gemeinwohl über das Individuum, während Individualismus die individuelle Freiheit und Selbstbestimmung als vorrangig betrachtet.


Mit dem Aufkommen des Parlamentarismus hat sich eine Sitzordnung herausgebildet, welche die linke Seite den Kollektivisten und die rechte Seite den Individualisten zugewiesen hat. Allein durch diese Nebensächlichkeit sind die heutigen Kampfbegriffe RECHTS und LINKS erwachsen, und vielen „Meinungsmachern“ und s.g. Journalisten ist das überhaupt nicht mehr bewußt.

Es war ein Geniestreich der Kollektivisten, also der LINKEN, daß sie es verstanden haben, alles vermeintlich Böse in der Welt der rechten Seite anzulasten.

Dabei ist es offensichtlich, daß z.B. der Nationalsozialismus eine kollektivistische Weltanschauung war/ist, welche die Individuen zur Volksgemeinschaft formen möchte. 


Traditionell waren Vertreter des Adelsstandes oder erfolgreiche bürgerliche Unternehmer in erster Linie 

Individualisten, also fanden sie sich auf der rechten Seite im Parlament wieder. 

Anhänger des „Kommunistischen Manifests“ übernahmen die kollektivistische Linie und damit die linke Seite im Parlament. 


RECHTS läßt sich gut dadurch beschreiben, daß deren Vertreter die Ansicht haben, daß der Staat sich nicht in das Leben der Bürger einmischen sollte, und daß die Verantwortung für das eigene Wohlergehen bei jedem Einzelnen liegt. Sie befürworten Selbstbestimmung, individuelle Freiheit, private Eigentumsrechte und eine freie Marktwirtschaft. 


LINKS bezieht sich auf politische Überzeugungen, die eine starke Rolle des Staates, Gleichheit aller Individuen, soziale „Gerechtigkeit“, öffentliche Dienstleistungen und eine „gerechte“ Verteilung des Wohlstands einfordern. Das Privateigentum insbesondere an Produktionsmitteln stellen sie in Frage.

Maximale Regulierung in allen Lebensbereichen wird angestrebt.


Vor diesem Hintergrund vergleiche man bitte seine eigene Einordnung in die Kategorien RECHTS und LINKS!